Wenn um 1800 das Schützenwesen zum Erliegen kam, dann nicht, weil es seine innere Kraft und Dynamik verloren hätte. Neue Machthaber verboten alles, was mit Schützen zu tun hatte. Napoleon, Kaiser der Franzosen, überzog Europa mit Krieg. Die geistlichen Fürstentümer wurden abgeschafft. 1802 übernahm zunächst Preußen das Fürstbistum Paderborn. Aber schon 1806 wurde ein neuer Landesherr für unsere Region zuständig, die aufging in dem gleichsam aus dem Boden gestampften Königreich Westfalen mit Regierungssitz in Kassel. Jerome, Bruder Napoleons, wurde Herrscher dieses Gebildes.
Die französischen Machthaber sahen in den Schützengesellschaften eine militärische Gefahr, aus der ihrer Meinung nach eine Art Partisanenarmee erwachsen könne. Das war zwar ein völlig unsinniger Gedanke, aber die französische Staatsgewalt wollte nichts „Militärisches“ neben ihren eigenen Truppenkontingenten dulden. 1806 mussten Schützen und Schützengesellschaften ihre militärisch wenig wirksamen Waffen abgeben.
1809 erklärten die fremden Machthaber alle Schützengesellschaften als aufgelöst. Die Franzosen zogen Vermögen und Liegenschaften der Schützengesellschaften ein und veräußerten deren Ehrenzeichen meistbietend.
Nach der Franzosenzeit, unter preußischer Herrschaft, bildeten sich nach 1815 neue Schützenvereine, ‐gesellschaften und ‐bruderschaften. Besonders die alten, kirchlich gebundenen Bruderschaften erlebten ihre Wiedergeburt. Alte Aufgaben, wie die beschriebenen Wach‐ und Hilfspolizeidienste, entfielen völlig.
In ihren Anfängen waren die neuen Zusammenschlüsse (häufig auf alter Basis bestehend) solche, die es sich zum Ziel setzten, altes Schützenbrauchtum, religiöse Verpflichtungen und Aufgabenstellungen zu pflegen und vor allem das jährlich zu feiernde Schützenfest durchzuführen, an dem nun die gesamte Bevölkerung teilnehmen sollte. Hier liegen die Anfänge des Schützenfestes als Volksfest für jedermann. Von den ursprünglich rein militärischen, polizeilichen und ordnungsschaffenden Aufgaben war nichts mehr vorhanden.
Brauchtumspflege, Dorfkultur, Gemeinschaftserleben
Diese neuen Schützenvereinigungen nahmen sich also der Brauchtumspflege und der Dorfkultur an. Ein weiteres Ziel war es, die Geselligkeit zu pflegen und Standesunterschiede einzuebnen sowie den Gemeinsinn zu fördern.
In der Regel wurden im ländlichen Bereich Feste auf einem Hof gefeiert. Die feiernden Vereine mussten zunächst durch den Hofinhaber bei der Obrigkeit eine Ausnahmegenehmigung zur Verabreichung von Erfrischungen einholen. Damit waren Kaffee (in der Regel Malzkaffee), Wein und Butterbrote gemeint. Feste durften erst am Sonntagnachmittag nach der Gottesdienstteilnahme beginnen und höchstens bis zum Montagabend dauern.
Die heutige Bedeutung von König, Königspaar und Hofstaat als glanzvoller Mittelpunkt des Festes, setzten sich zunächst erst sehr zaghaft nach 1815, vor allem aber erst nach dem ersten Weltkrieg (1914–1918) durch.
In der aufgezeigten Tradition steht auch unser Liborius‐Schützenverein, der 1953 gegründet wurde. Ob es zuvor bereits einmal einen Schützenverein, beispielsweise nach 1815 gegeben hat, wissen wir (noch) nicht. Es ist aber anzunehmen.
Die Gründer unseres Jubiläumsvereins von 1953 hatten die richtige Idee, als sie für die Schützenfahne den Spruch wählten: „Aus alter Wurzel – neue Kraft“. Sie waren offensichtlich davon überzeugt, dass sich ein neu zu gründender Verein auf eine alte, bewährte Tradition stützen sollte, sonst hätte er keine Wurzel und keine Möglichkeit, von irgendwo her Nahrung zu beziehen und müsste verdorren. Nicht so díe neue Kraft, die aus alter Wurzel und altem Stamme kommt. Der neue Trieb, der ,schon nach nunmehr 50 Jahren ein neuer, junger Stamm geworden ist, erweist sich als sehr lebensfähig und kräftig.
Mit der vorstehenden Betrachtung der Entwicklung des ländlichen Schützenwesens haben wir uns gleichsam in die Geschichte eingegraben, entlang der Wurzel, die bis zu ihrem Anfang reicht – dorthin, wo sie seit altersher ihre Nahrung bezieht.
Das Gefühl vermitteln, beheimatet zu sein
Die alten Aufgaben, die ihnen auferlegte ursprüngliche militärische Aufgabe der Landesverteidigung, haben unsere Schützenvereine schon lange nicht mehr. Geblieben oder neu zugewiesen sind ihnen Aufgaben, die nach wie vor für die Stabilität unserer Dorfgemeinschaft wichtig sind. Geblieben in veränderter Zeit ist ihnen die Aufgabe der Bewahrung von Werten, die besonders im religiösen, aber auch im kulturellen und im gesellschaftlichen Bereich liegen. Der Wahlspruch unseres Schützenvereins „Glaube – Sitte – Heimat“ ist eine hohe Verpflichtung.
Schützenvereine geben den Menschen ihres Umfeldes das Gefühl, beheimatet zu sein – religiös, wertebewahrend, heimatverbunden. Schützenvereine geben Menschen das Gefühl, beheimatet zu sein, damit sie wissen, wo ihre Wurzeln sind.
Literatur
- Hubert Plogmeier: Eissen – Bild unserer Heimat, Bad Salzuflen, 2003
- Helmut Müller: Preußen und das westfälische Schützenwesen zu Anfang des 19. Jahrhunderts in „Heimatpflege in Westfalen“, 5/2000
- A. Mönks: Das Schützenwesen im Paderborner Lande in „Die Warte“; 1933 Heft 7
- Schützengeschichte in Westfalen und Lippe; Herausgeber: Westfälischer Schützenbund, 1961