Der Graf von Northeim - das Kloster Helmarshausen und Villa Aeissun
Auch der folgende Teil der Geschichte unseres Dorfes ist eng verknüpft mit einem Kloster und, wie schon zuvor, mit einer Schenkung. Dieses macht abermals deutlich, welche bedeutende Rolle für die jeweilige Region im Mittelalter die Klöster spielten. Sie sind für uns heute die Fundgrube für geschichtliche Erkenntnisse, bezogen auf unseren Raum und unsere Dörfer schlechthin.
Klöster waren Orte des Gebetes, des gemeinsamen Lebens, der Arbeit und sie waren Kulturträger. Über Jahrhunderte haben sie Stadt und Land religiös, wirtschaftlich und, wie schon festgestellt, kulturell geformt. Sie haben das christliche Abendland, unsere geistig-kulturelle Heimat, entscheidend geprägt. Wie spärlich und kümmerlich wäre unser Wissen, hätte es nicht gelehrte und schreibkundige Mönche gegeben.
Ein weiteres Phänomen ist noch zu betrachten, um Zusammenhänge zu verstehen. Es ist wichtig, sich mit der Erscheinung zu beschäftigen, die uns frühe Kunde über unser Land vermittelt, über die Vielzahl von Schenkungen.
Den Grundstock für ihren Besitz und somit ihre wirtschaftliche Basis erhielten Klöster bei ihrer Gründung in früher Zeit aus Liegenschaften des Reichsgutes. Über diese verfügte der König bzw. der Kaiser. Es kamen Objekte hinzu durch Schenkungen des Adels, insbesondere des hohen Adels. Der fing etwa bei dem Adel an, der sich mit der Grafenwürde schmücken durfte. Aber auch der Landadel gehörte zu der Geberseite.
Die Anlässe für Schenkungen waren unterschiedlicher Art. Bei den Angehörigen edler Geschlechter war es Sitte geworden, vor der Vermählung eine fromme Stiftung zu tätigen, um den Segen des Himmels für das geplante Vorhaben zu erlangen.
Wie wir schon sahen, waren Schenkungen üblich, wenn ein Adelsgeschlecht im Mannesstamm ausstarb. Die weiblichen Nachkommen, sofern unverheiratet, vermachten ihren Besitz ebenfalls einer religiösen Einrichtung. Derjenigen, die eine Schenkung vorgenommen hatten, wurde im Gebet gedacht.
Das bedeutete den Menschen sehr viel. Man nannte die Stiftungen an religiöse Einrichtungen auch „Seelenstiftungen“, was bedeutete, dass die Seelen der Wohltäter in die Gebete eingeschlossen werden. Großzügig waren zumeist die Zuwendungen adliger Frauen und Männer, die in die Schwestern- bzw. Bruderschaft eines Klosters aufgenommen wurden und in aller Regel auch im Kloster ihre letzte Ruhestätte fanden.
Aber nicht nur der Adel tätigte Schenkungen. Auch die sogenannte einfache Bevölkerung, die Menschen niederen Standes, vermachten bei Eintritt eines Angehörigen in ein Kloster diesem einen Besitz.
Von einer Schenkung an das Kloster Helmarshausen am Unterlauf der Diemel haben wir in Eissen indirekt auch einen Gewinn. Denn in diesem Zusammenhang wird unser Ort genannt, als „Villa Aeissun“, wie schon einmal kurz erwähnt.
Werfen wir einen Blick auf dieses Kloster: 997 beginnt man mit der Errichtung eines Benediktinerklosters. Mönche aus Corvey sind behilflich beim Aufbau eines Konvents. 998 erhält das Kloster den Status einer Reichsabtei (wie Corvey). Seelsorgerisch ist die Abtei direkt Rom unterstellt (1002). Kaiser Heinrich II. übereignet das Kloster dem Bischof von Paderborn. Der Erzbischof von Köln hat Begehrlichkeiten und erhält Einfluss.
Nach vielen Wirren unterstellt sich die Abtei dem Landgrafen von Hessen-Kassel. In der Reformationszeit wird Hessen protestantisch. Das Kloster wird 1538 aufgelöst. Ein Glanzstück deutschen Kloster- und Kulturlebens hat ein bedauerliches Ende gefunden.
Ein Glanzstück war es in der Tat. Im 12. Jahrhundert war Helmarshausen eines der bedeutendsten Klöster im deutschen Sprachraum. Seine Bedeutung haben unter anderem seine weit gerühmte Schreibwerkstatt und ein gutes Dutzend Prunkhandschriften und Goldschmiedearbeiten begründet. Das Evangeliar Heinrichs des Löwen ist das Vorzeigeobjekt mittelalterlicher Buchkunst, das in diesem Kloster entstand.
Zurück zu der angedeuteten Schenkung: Sie wird getätigt von Otto III. von Northeim. Dieser Graf, gelegentlich auch Dux = Herzog genannt, war Edelvogt der Klöster Helmarshausen und Corvey. Das muss Anlass sein, einen Blick auf die Bedeutung eines Klostervogtes, zumal eines Edelvogtes,zu werfen. Wir müssen unterscheiden zwischen einem Vogt, der beispielsweise als eine Art „Verwaltungskraft“ von einem Herrscher zur Wahrung der Interessen seiner Herrschaft in einem bestimmten Bezirk eingesetzt war (beispielsweise Landvogt von Peckelsheim, vom Fürstbischof in Paderborn eingesetzt) und einem Klostervogt. Ursprünglich war Letzterer jemand, der das Kloster nach außen in weltlichen Angelegenheiten vertrat. Dort, wo das Kloster Besitz hatte, war er auch Gerichtsherr (Vogteigericht). Bei den übergeordneten Gerichten vertrat er in Rechtsverhältnissen das Kloster. Weiterhin war der Vogt eines Klosters auch für die äußere Sicherheit des Klosters verantwortlich. Zur Unterstützung bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ernannten sie Unter- oder Nebenvögte, häufig auch Amtleute genannt.
Mächtige Herrscher zwangen die Klöster auch aufgrund ihrer Machtfülle, sie als Vögte zu bestellen. Das Vogtamt war immer auch mit Einkünften verbunden. Dem Vogt standen Abgaben in erheblichem Ausmaß (je nach Bedeutung des Klosters) zu. Machtausübung und Einkünfte waren für die Herrscher in einer Region ein Motiv, das Amt des Vogtes an sich zu binden. Klostervögte setzten schließlich durch, dass dieses Amt erblich wurde, also auf die Söhne überging. Um sich aus der Schar der Vögte herauszuheben, nannten sie sich entsprechend ihrer Machtkompetenzen Edelvögte. Bei den Grafen von Northeim haben wir es mit solchen Edelvögten zu tun.
Ein hochkarätiger Edelvogt und die „Worth” in „Villa Aeissun”
Die Grafen von Northeim fassten etwa im 10. Jahrhundert in unserem Bereich Fuß und kamen zu erheblichem Besitz und Machteinfluss im Ittergau, im gesamten Diemelbereich und vor allem auch im Sächsischen Hessengau sowie dem Nethegau und somit in der Warburger Börde, unserer Heimat. Zeitweise waren sie auch die Herren des Desenberges (1070).
Zu Einfluss und Besitz in unserer Region waren sie nach dem Tode des Grafen Dodico von Warburg gekommen, der ohne Nachkommen starb. Am 2. August 1033 wurden die Northeimer (Graf Benno) vom Bischof in Paderborn als Lehnsgrafen im Komitat (in etwa vergleichbar einer Grafschaft) Warburg eingesetzt. Damit hatte dieses Herrschergeschlecht seinen Machtbereich erheblich ausgedehnt und abgerundet.
In sieben Gauen hatten die Grafen die Macht und übten Vogtei- bzw. Edelvogteirechte unter anderem über die bedeutenden sächsischen und freien Reichsklöster Corvey und Helmarshausen aus. Dieses bezieht sich auf den schon genannten Otto von Northeim (+ 1083); seine Söhne Heinrich und Siegfried III. sowie seinen Enkel Siegfried IV (+ 1144).
Danach gelangt der Sachsenherzog Heinrich der Löwe im Jahre 1152 in den Besitz der Rechtstitel der Grafschaften der Northeimer. Er wird auch Herr des Desenberges.
Uns interessiert insbesondere der Graf Otto (III.) von Northeim, der 1061 auch Herzog von Bayern ist. Otto (in Urkunden finden wir seinen Namen auch so geschrieben: Oddo, auch Nordheim wird häufig in älterer Zeit mit dem d versehen anstatt t) hat Besitz in Eissen.
Auskunft darüber gibt uns eine Handschrift aus dem Kloster Helmarshausen, die im Hessischen Staatsarchiv deponiert ist. Die 14 Blätter befinden sich in einem recht ruinösen Zustand und sind um sie zu schonen, mit Seide überzogen, außerdem schwer lesbar und an den Rändern stark abgebröckelt. Die schreibenden Mönche haben sehr viele Abkürzungen gebraucht, wohl, um sparsam mit dem kostbaren Papier umzugehen.
Eine der Eintragungen in der oben genannten Sammlung unter dem Titel „Schenkungsregister des Klosters Helmarshausen“ (um 1120) bezieht sich auf unseren Ort Eissen. Dort heißt es wörtlich: In Villa que dicitur AEISSUN (Aeissun), dominus Oddo Dux cum consensu filiorum scilicet heredum suorum tradidit ecclesie hobam I cum area edificiis et manipiis.
Der vorstehende Text wurde so übernommen wie er in der Urkunde steht, also Fehler eingeschlossen.
Die Übersetzung lautet, bei Anwendung der deutschen Satzstellung so: In dem Dorf, das Eissen genannt wird, übergibt der Gebieter Herzog Otto (Oddo) mit Einwilligung seiner Söhne, die seine Erben sind, der Kirche eine Hufe (Land) mit Hofstätte, Gebäuden und Gesinde (Hörige)
.
Der Begriff Gebäude sollte nicht im heutigen Sinne gedeutet werden. Es handelte sich um einfache bauliche Einrichtungen, die der landwirtschaftlichen Nutzung dienten (Stallungen, Scheunen, etc.). Rätsel könnte der Adressat der Schenkung aufgeben: Kirche. Ist nun die Ortskirche gemeint? Die Kirche von bzw. in Eissen? Handelt es sich um die Kirche des Klosters bzw. um das Kloster selbst? Letzteres ist zutreffend. Dies geht aus dem Gesamtzusammenhang der umfangreichen Schenkung hervor.
Wichtig zu wissen ist noch, was eine Hufe (= in der Regel 30 Morgen) an Objekten beinhalten konnte. Dazu gehörten neben den schon genannten „Gegenständen“ Land, Wiesen, Holzberechtigung und vor allem auch ein Hausgarten. Der aber wurde Word oder Worth genannt. Eine entsprechende Flurbezeichnung gibt es bei uns in Eissen. Wir finden diese Dorfflur in dem Areal, das von der Agissenstraße, den Straßen Richtung „Stubbig“ und „Zum Südholz“ gebildet wird, etwa im Bereich der Häuser bzw. Gehöfte Becker, Rose, Derenthal. Wir können davon ausgehen, dass sich die vom Edelvogt Otto verschenkten Liegenschaften im Kern dort befanden. Im Register werden aus dem Umfeld von Eissen auch noch die Orte Ringeldissun (Ringelsen) und Wilgatessun (Willegassen) genannt.
Wann nun ist dieses Schenkungsregister erstellt worden? Die Angaben darüber schwanken in den Angaben von Historikern, die sich damit befasst haben. Etwa 1120 scheint eine realistische Zeitangabe zu sein. Die Schenkungen selbst müssen vor 1083 (Tod Ottos) getätigt worden sein. Wenn wir die Aussagen von Forschern zeitlich in einen mittleren Bereich einpendeln, dann kommen wir in etwa auf das Jahr 1080.
An diesem Vorgang sehen wir, dass sich Eissen im 11./12. Jahrhundert (und wohl auch noch später) im Interessengebiet zweier bedeutender Klöster befand, nämlich Corvey und Helmarshausen.
Auf welche Weise zog nun das etwa 20 Kilometer entfernt liegende Kloster Helmarshausen einen Nutzen aus der Liegenschaft in Eissen? Wie wurde der Besitz bewirtschaftet? Arbeitskräfte waren zwar vorhanden, wurden sozusagen „mitgeliefert“, wie wir erfahren haben. Aber wer war für die gewinnbringende Bearbeitung der Liegenschaft verantwortlich und auch für die Ablieferung der Naturalien etc.?
Hier greift das sogenannte Meiersystem. Das Kloster setzte einen Meier ein. Meier kommt von maior (lat.), der Größere. Mit diesem schloss das Kloster gleichsam einen Vertrag. In der Regel lief ein solcher über zwölf Jahre und wurde meistens über den gleichen Zeitraum verlängert. Häufig wurde im Laufe der Zeit das Meieramt erblich. Der Meier war also Leiter der Liegenschaften eines sogenannten Grundherren und diesem verpflichtet. Die Anzahl bzw. Menge der Hufen musste nicht in einem Ort liegen. Für seine Tätigkeit stand ihm eine „Fruchtrente“ zu.
Dieses System des Meierrechtes lässt sich in abgewandelter Form auch auf andere Besitzungen anderer Grundherren (geistliche und weltliche =Adel) übertragen. Es war eine sozusagen arbeitsrechtliche Einrichtung, die in unserer Region im gesamten Mittelalter bis in die Neuzeit hinein gängig und tragend war.